Kieler Erklärung“ der Parlamentarier der LINKEN

16. Februar 2012  Allgemein
Der Parlamentariertag der LINKEN, bei dem am 16./17. Februar 2012 in
Kiel über 150 Abgeordnete aus Europaparlament, Bundestag und Land-
tagen über Aufgaben und Ziele der LINKEN für eine Politik des
Friedens, der Demokratie und sozialen Gerechtigkeit in der
Wirtschafts- und Finanzkrise beraten, hat einstimmig folgende
„Kieler Erklärung“ beschlossen.

Auch wenn die Kanzlerin Angela Merkel das anders sieht: Die
Europäische Idee ist etwas ganz anderes als eine Währung. Ein Blick
in die Geschichte erhellt das. Europa war über Jahrhunderte ein
einziger Kriegsschauplatz. Nach zwei verheerenden Weltkriegen hat
die beginnende europäische Integration zwei Ziele verfolgt. Erstens,
die europäischen Nationen sollten enger kooperieren, um Konflikte
nicht mehr kriegerisch austragen zu können, zweitens, ein „Sonderweg“
der Bundesrepublik Deutschland sollte ausgeschlossen werden. Davon
hat die Bundesrepublik enorm profitiert. So wurde sie von der großen
Bürde der Reparationsverpflichtungen befreit. Der Marshallplan konnte
daher auch seine Wirkung entfalten. Das „Wirtschaftswunder“ war eine
Leistung nicht nur der Deutschen, es resultierte auch aus der
Bereitschaft der anderen Völker Europas, dem einstigen Kriegsgegner
die Hand zu reichen.

Auch die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands war
verbunden mit Ängsten vor einem zu großen Deutschland, das einen
„Sonderweg“ beschreiten könnte. Der damalige Bundeskanzler Helmut
Kohl ließ sich daher darauf verpflichten, die europäische
Integration voranzutreiben.
Die Politik, die die Bundeskanzlerin im Verbund mir Sarkozy als
„Eurorettung“ offeriert, ist nicht nur ökonomisch falsch. Sie ist
vor allem geschichtsvergessen. Jede Nation in der Europäischen Union,
die in Not geraten ist, hat gerade seitens Deutschlands ein anderes
Herangehen verdient, wie Deutschland es nach dem Zweiten Weltkrieg
selbst erfahren hat.

Deshalb muss man der Merkel-Regierung den Vorwurf machen,
nationalistisch zu agieren. Sie stärkt die Kräfte der
Renationalisierung innerhalb der EU.
Auch die europäische Integrationspolitik war einst ein
demokratisches Projekt. Staaten wie Griechenland, Spanien und
Portugal wurden Mitglieder der EWG, um den Prozess des Übergangs zur
Demokratie ökonomisch zu stabilisieren. Hier wiederholte sich, was
auch Zweck der Westintegration der Bundesrepublik Deutschland war:
die demokratische Entwicklung stabil zu halten. Heute erleben
wir eine europäische Politik, die sich der Mittel des Diktats
edient. Der Fiskalpakt, der gerade geschmiedet wird, belegt das.
Die Parlamente, ob in den angeschlagenen Staaten oder in Deutschland,
werden von den „Eurorettern“ als Hindernisse angesehen, die
möglichst umgangen werden sollen. Aber das Diktat kommt nicht von
irgendwoher. Der Umstand, dass einige private Ratingagenturen Staaten
vorschreiben können, was diese zu tun haben, wird von Merkel und
Sarkozy nicht als Problem angesehen, was abgestellt werden muss,
sondern als Imperativ, der über den Fiskalpakt durchgestellt wird.

Die Folgen einer Politik, die demokratische Legitimation hinter
sich gelassen hat, können wir schon jetzt in Griechenland sehen.
Zeitungen sprechen von den „neuen Armen“, von „neuer Armut“.
Massenhafter sozialer Abstieg bedeutet, dass der Sozialstaat Platz
machen musste für die Eurorettung. Das Markenzeichen des
westeuropäischen Kapitalismus, ein zugleich sozialstaatlich
verfasster zu sein, wird zur Disposition gestellt. Merkel und
Sarkozy verraten all das, wofür die europäische Idee einst stand:
für die Überwindung nationaler Borniertheit, für eine Demokratie,
für eine bestimmte soziale Sicherheit.

Nach der Einführung des Euro hat man mehrheitlich geglaubt, dass es
zu einer Angleichung der Volkswirtschaften innerhalb der Eurozone
käme. Inzwischen weiß man, dass es anders gekommen ist. Der Euro
hat das ökonomische Auseinanderdriften beschleunigt.
Exportorientierte Volkswirtschaften wie die deutsche haben durch
eine Lohndumpingpolitik Exportvorteile erzielt gegenüber
Volkswirtschaften mit besserer Lohnentwicklung. Wenn das Ziel einer
für alle Beteiligten guten Wirtschaftsentwicklung verfolgt werden
soll, müssen neben den haushaltspolitischen Zielen auch wirtschafts-
und sozialpolitische Ziele europäisch koordiniert werden.

Was Staaten wie Griechenland heute brauchen, ist keine (fiskal-)
politische Fremdbestimmung. Sie benötigen aber dringend Programme,
mit deren Hilfe die Binnenwirtschaft wieder belebt werden kann. Die
Verursacher müssen zur Bezahlung herangezogen werden.
Vermögensmillionäre in Europa müssen endlich eine angemessene
Vermögenssteuer bezahlen. Erst bei Belebung der Wirtschaft und der
Einführung einer solchen Vermögenssteuer kann die Sanierung der
Haushalte wieder ein realistisches Projekt sein. Außerdem muss die
Abhängigkeit der Staatshaushalte von den Finanzmärkten dringend
aufgebrochen werden.
Geeignet dafür wäre eine direkte Kreditvergabe an Staaten über eine
öffentlich-rechtliche Bank, die ihrerseits Kredite bei der EZB
aufnimmt. Schließlich erfordert eine gemeinsame Währung auch eine
Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik, um die Entwicklung
der unterschiedlichen Volkswirtschaften in Richtung gemeinsamen
Wohlstands zu lenken.Die großen privaten Banken sind zu verkleinern
und öffentlich-rechtlich zu gestalten.

All das wäre ein Projekt des Friedens, der Demokratie und des
sozialen Fortschritts in Europa. Dafür tritt DIE LINKE, zusammen
mit ihren Partnerinnen und Partnern, in Deutschland und in Europa
ein.